Alternative zum Marigold Hotel

„Alles bequem, alles sicher: Das ist keine Hoffnung“

Hoffnung ist kein Optimismus, sondern hat mit Mut zu tun, sie ist
dynamisch und schenkt Leben.  Papst Franziskus

Pater Henrys Rosen

Die Schweizergruppe fliegt Richtung Indien. Alle meine Bekannten freuen sich auf sie, obwohl sie den Grossteil der Gruppe gar nicht kennen. Es ist fast eine Stimmung wie vor Weihnachten. Alle freuen sich und sind gespannt was sich da ereignen wird. Pater Henry empfaengt uns mit Rosen!! Wir werden die Leute im Rudel vom Flughafen abholen, wie es sich fuer Indien gehoert und mit Girlanden aus Jasminblueten schmuecken.

Das ganze Programm heisst „Indien von Mensch zu Mensch“. Die Leute, die daran teilnehmen, machen ganz andere Erfahrungen als gewoehnliche Touris, die oft enttaeuscht aus diesem faszinierenden Land zurueckkehren. Hier einige Gedanken zum Film „Best Exotic Marigold Hotel“, den ich kurz vor meiner Abreise gesehen habe.

Es handelt sich um eine Gruppe englischer, zum Teil recht rassistischer Senioren, die aus verschiedenen Gründen sich in einer als Luxushotel bezeichneten Unterkunft in Indien wiederfinden. Nach dem ersten Schock versuchen sie das beste daraus zu machen, außer einer Frau, die sich bis zuletzt völlig verschließt. Total lebensecht sind die Rahmenaufnahmen, der Verkehr, das Reisen in den Bussen, der Besuch bei einer Unberührbaren. Sehr gut gefallen hat mir auch, dass der Film von Senioren handelt, die in eine neue Welt und ein neues Leben aufbrechen. Aber letztlich endet der Film dann in Beziehungskisten, die zum Happy End werden, gute Unterhaltung, mehr nicht.

Ich erlebe etwas ganz anderes. Fast durch Zufall ist das Projekt ‚Indien von Mensch zu Mensch‘ entstanden: Menschen, die sich für Indien interessieren wie es leibt und lebt. Die meisten sind 50+, viele schon im Pensionsalter. Hin und wieder sind auch Jüngere dabei. Wichtig ist die Offenheit und der Mut sich auf was ganz anderes, Ungewohntes, einzulassen.

Unsere Leute kommen in erster Linie zum Lernen, nicht zum Helfen oder um nachher ein schlechtes Gewissen zu haben.

Das allerwichtigste an diesem Projekt ist das interkulturelle Lernen, eben Indien von Mensch zu Mensch, also auf Augenhöhe zu erleben. Die europäische Überheblichkeit, dass bei uns alles besser ist und wir selber möglichst auch, sitzt tief. Das schönste Kompliment, das eine sehr kritische Reiseteilnehmerin je gemacht hat, ist: Ich kam mit vielen Vorurteilen. Sie haben sich alle in Rauch aufgelöst.

Umgekehrt ist es auch schön, wenn InderInnen bekennen: Wir haben viel von euch gelernt. So sagte ein Inder: Bei euch sitzen Frauen und Männer immer zusammen. In unserer Kultur sondern sich die Männer ab, aber ich finde das Zusammensein sehr gut.

Die Reisen sollen zu gegenseitigem Geben und Nehmen führen, keine Einbahnstraße der Barmherzigkeit sein.

Die Leute werden gut vorbereitet, wissen, dass sie nie im Hotel übernachten werden, dass wir meistens mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, dass eine Nachtfahrt im Zug (2.Klasse) ansteht, dass sie mit 7 Religionen, darunter vielen katholischen Ordensleuten in Kontakt sein werden und soziale Projekte besuchen , die zum Teil mittlerweile von diesen Gruppen mitgetragen werden.

Am Anfang stolpern sie über jeden Müllhaufen. Mit der Zeit werden ganz andere Dinge wichtig: Das Lachen der Kinder, die motivierten Schülerinnen, 60 in der Klasse, aber voll aufmerksam beim Unterricht. Der befreiende Seufzer des Arztes im Urwald: Endlich besucht uns mal jemand. Sonst frägt kein Mensch nach uns.

Am Anfang flößt das Gewusel des Verkehrs Angst ein, bis sie merken, dass Hupen nicht heißt: Du XX!!!, sondern: Ich komme mein Freund, mach mal Platz..

Wir essen mit Waisen- und Straßenkindern, im Frauenhaus, picknicken am Rande des Urwaldes, freuen uns über die wunderbare Natur und lernen nicht zuletzt das satte Europa aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten.

Einen Tag verbringen wir auf den Kanälen in Kerala, bewusst umweltfreundlich, nur mit Ruderboten ohne Motor.

Wir feiern Feste miteinander, Geburtstage, öfters wurde auch schon mal jemand in dieser Zeit Oma. Oft bereiten uns unsere indischen Freunde ein Fest. Wir teilen Freud und Leid miteinander, nehmen uns Zeit einander zu zuhören.

Die Ehrenamtlichkeit der Organisation und die Reisebegleitung sind meiner Kollegin und mir sehr wichtig. (Unsere Unkosten werden gedeckt.) Unsere indischen Reisebegleiter werden bezahlt.

Es sollen nicht nur Reiche vom Angebot einer solchen Reise profitieren, sondern wirklich Interessierte. So können neben Lehren, Ingenieuren, Krankenschwestern, Sekretärinnen, auch Haus- und Putzfrauen mitkommen. Geld schafft Unterschiede, Interesse Gleichheit. Es ist keine billige Reise im Sinne von Discounter-Angebot.

Von schlimmeren Krankheiten oder Unfällen wurden wir bisher, Gott sei Dank, verschont. Hin und wieder gibt es Magenverstimmungen oder Blasenentzündungen, weil zu wenig Wasser getrunken wurde.

Wir machen keine Werbung, außer von Mund zu Mund Propaganda. Immer wieder kommen Ehemalige mit, wollen wissen, wie es mit den Projekten weitergeht, was aus den Menschen geworden ist.

Oft höre ich von Indien-Touristen, dass alles nur schmutzig war, überall Armut, überall wird man angebettelt und überhaupt: Nie wieder!

Unsere Leute kehren reich beschenkt zurück. Immer wieder wird betont, dass dies die nachhaltigste Reise ihres Lebens war. Unglaublich welche Kreise dieses Projekt mittlerweile gezogen hat, wie viel Fantasie die Leute entwickeln. Patenschaften für Waisenkinder wurden übernommen. Das eine Projekt, eine Schule, die mittellosen Slum- und Dorffrauen und Jugendlichen Dreimonatskurse in Nähen, Buchhaltung, Computerfertigkeiten, u.a. anbietet, lebt eigentlich nur durch diese Reisegruppen. Jetzt wird ein Schulhaus mit Internat gebaut.

Für ein Frauenprojekt wird ein Benefizessen organisiert. Eine 76 jährige Frau, die ihres Alters wegen nie mit war, bastelt aus Begeisterung, um das Schulgeld für ‚ihr‘ Kind aufzubringen.

Eine Welle der Solidarität wurde ausgelöst, durch einen verzweifelten Hilfeschrei einer jungen Mutter, die an der Geburt ihres ersten Kindes fast gestorben wäre und mit ihrem Baby längere Zeit im Krankenhaus bleiben musste, was die Familie nicht bezahlen konnte. Kurz vorher hatte eine Gruppe diese Familie besucht. Eine Frau schrieb darauf hin:

Ist es denn nicht selbstverständlich, dass man da hilft? Ich vergesse auch niemals die Gastfreundschaft, die wir in dieser Familie erleben durften. Umgekehrt sind Inder auch immer bei uns in der Schweiz und in Deutschland willkommen. Davon wurde schon mehrmals Gebrauch gemacht, ebenfalls zur Freude von Menschen, die nicht nach Indien fahren können.

Leider wird der Schengenraum immer verschlossener für Menschen, die nicht viel Geld mitbringen. Um so erfreulicher ist es, die offenen Herzen unserer Reisenden zu erfahren.

Wo viele kleine Leute viele kleine Schritte tun, verändern sie die Welt.