Urlaub

Manchmal werde ich mehr oder weniger ernst gefragt, was ich denn eigentlich machen würde, wenn ich nicht eben mal in Indien wäre oder in der Schweiz in den Ferien. Na, was wohl: Urlaub in Deutschland! So habe ich am meisten Zeit zu arbeiten!

Ich lebe in einem Haus, das jetzt vier Jahre lang vom Laurentiuskonvent renoviert wurde. Auf unserer Seite leben wir in einer Hausgemeinschaft, auf der anderen Seite gibt es Einzelwohnungen. Als Hausgemeinschaft haben wir sehr viel mitgeholfen, um Kosten zu sparen.

flamme1Das „Haus Flamme“, in dem wir wohnen, war schon sehr vieles: Bauernhaus vor mehr als 100 Jahren mit Dorfladen und Poststelle, später wurde es Edelgasthof für Feriengäste, für die Einheimischen Dorfmittelpunkt mit Theatersaal, der auch als Sporthalle und Tanzsaal diente. Unsere Freunde Maria und Joachim Geritzen haben da Hochzeit gefeiert.

Nach einer Familientragödie wurde das Haus verkauft. Es wurde zur Asylantenunterkunft, Obdach für Menschen am Rande mit Suchtproblemen, schliesslich machte sich eine Gruppe Rechtsextremer darin breit, danach lebten wieder Menschen vom Rand der Gesellschaft drin. 2010 wurde das Gebäude vom Konvent gekauft und musste einer langen gründlichen Renovation unterzogen werden. Am 23. August soll nun endlich Einweihung sein.

„Die Flamme“ soll wieder ein offenes Haus der Begegnung werden. Wer möchte, kann einige Tage einfach bei uns verbringen. Schon mehrmals war eine Gruppe aus der Schweiz da, alles ehemalige Indienreisende, die nach der Ferne nun auch das unbekannte Deutschland in relativer Nähe kennen lernen wollen. Und es gefällt ihnen. Siehe Bericht: Aufenthalt in Wethen: Danke, lieber Ernst!

Uns ist aber auch die Begegnung mit dem Dorf und der Gemeinschaft wichtig. Die Türen sind offen. Wer will, kann hereinkommen und sich einen Kaffee oder Tee machen.

Ganz wichtig ist das Maleratelier ‚Kreative Flamme‚, wo jetzt schon eine Gruppe malt. Auch Kinder lassen sich begeistern. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt.

FlammeVorplatzgestaltungNoch sind wir am Gestalten des Vorplatzes. Es soll ein wenig nach Hundertwasser-Art werden. So haben wir die letzten Wochen Steine geschleppt für die Mäuerchen, Erde aus dem Hühnerhof der Nachbarin geholt, um Blumenbeete anzulegen, und mit viel Liebe verzieren unser Künstler Peter Jassmeier und Dagmar, ebenfalls unsere Künstlerin, die alten Steine mit bunten Fliesenscherben und Murmeln. Die Leute kommen und sehen, diskutieren, geben Ratschläge oder freuen sich einfach. Die Geschichte mit den Blumen in den Beeten ist eine ganz besondere: Ausser einer Dahlie wurden alle von Nachbarn oder Gemeinschaftsmitgliedern geschenkt. In einem Beet wachsen Kartoffeln. Ich wollte diesen kleinen Flecken Erde einfach bepflanzen, aber womit? Etwas, das rasch wächst. Beim Kartoffelschälen kam die Idee… Wir haben noch so viele Kartoffeln vom letzten Jahr, die schon alle ausgeschlagen haben. Ich nahm eine Handvoll und setzte sie (Anfangs Juli). Dann wartete ich, bis was Grünes zum Vorschein kam. Aber es dauerte und dauerte. Schliesslich war meine Irlandwoche an der Reihe.

Ich war zu einem internationalen Treffen von AVP (Alternatives to violence project international)  nach Irland eingeladen worden. Wir waren ein Team von vier Trainerinnen aus Deutschland unter 154 TrainerInnen aus 43 Ländern aus allen Kontinenten. Sogar ein Aborigine war dabei. Eine der Australierinnen war als Kind mit ihren Eltern aus Deutschland vor dem Hitler-Regime geflohen, weil sie Quäker waren. Besonders bunt präsentierten sich die Afrikaner aus vielen Ländern, die zum Teil eine sehr schwere Vergangenheit haben wie Burundi, Rwanda oder Liberia, oder eine sehr schwere Gegenwart wie der Sudan. Eine christliche Palästinenserin aus Hebron und zwei Israeli aus Tel Aviv begegneten sich hier. Eine US-Amerikanerin lebt seit 15 Jahren im Irak. Die USA waren natürlich stark vertreten, denn das Projekt wurde 1975 in einem Gefängnis in New York gegründet. Gefangene baten Quäker, ihnen einen Weg zu zeigen, der die Gewalt im Gefängnis mindern konnte. Sehr bald breitete sich das Projekt über Kanada aus. 1994 wurde es nach Deutschland gebracht. Heute noch sind die Quäker die grossen Förderer von AVP. Mittel- und Südamerika haben ebenfalls grosse Teams. Es gab dramatische Momente: In diesen Tagen brach der Krieg zwischen Israelis und Palästinensern wieder aus. Das Flugzeug über der Ukraine wurde abgeschossen. Drei Ukrainerinnen waren anwesend. In diesen Situationen sind Nachrichten einfach nicht mehr nur Nachrichten…. Es gab aber auch einen Tag, der der absolute Höhepunkt war: wir besuchten alle zusammen das Gefängnis Weatfield, feierten mit den Gefangenen, die dort bei AVP aktiv sind. Im Gefängnis selber gibt es ein eigenes AVP-Team mit sehr motivierten Trainern. Diese hatten ein richtiges Fest für uns vorbereitet. Eindrücklich waren ihre Zeugnisse, wie sich ihr Leben durch AVP positiv verändert hat. Wir sassen in kleinen Gruppen zu verschiedenen Themen zusammen, assen miteinander, plauderten und lachten.

Für mich war wichtig mich mit indischen Trainern zu treffen. Beena Sebastian möchte AVP in ihre „Cultural academy for peace“ integrieren, aber bisher hat es nie geklappt. Ich hoffe sehr, dass nun ein ein guter Grund gelegt ist.

Jony, der Israeli, brachte mich auf eine Idee: Es gibt relativ viele Israelis, die nach ihrer Militärzeit nach Indien fahren und denen erst dort die Augen aufgehen, was in ihrer Heimat abläuft. In Goa gibt es geradezu eine neue jüdische Kolonie, nur eben, da gibt es auch Drogen und dergleichen… Ich erzählte ihm von Beena und dass ich auch mal von einem ehemaligen israelischen Soldaten angesprochen worden war. Hätte er nicht schon die Fahrkarte nach Goa gehabt, hätte er vielleicht meinen Platz als Freiwilliger bei Beena eingenommen. „Jony, gibt es keine Möglichkeit, dies Israelis zu vermitteln, die einen Indienaufenthalt planen?“ „Kein Problem: Ich tu’s ins Facebook!“ Und nach wenigen Minuten war die Botschaft auch dort. Hoffentlich fällt sie auf fruchtbaren Boden! Oder da war John aus Nordirland, dem ich von Beena erzählte.Schliesslich fragte er: „Ist das etwa Beena Sebastian? Ja, die kenne ich schon lange!!!“

Das nächste internationale Treffen wird wahrscheinlich in Nepal stattfinden. A propos grüne Insel, auf die ich mich gefreut hatte: Ich habe den Flughafen gesehen, das College, das Gefängnis und die Autobahnen dazwischen. Wir arbeiteten von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends. Es gab durchaus Leute, die dann noch in den Pub gingen und tanzten, bis um 3 Uhr morgens dieser geschlossen wurde…

Ich kam auch ohne Pub platt wie eine Flunder nach Hause, aber mit vielen Erfahrungen reicher, mit einem Haufen neuer Adressen und vor allem überglücklich zu wissen, dass an ganz vielen Orten dieser Welt viele kleine Leute mit vielen kleinen Schritten versuchen der Welt ein neues Antlitz zu geben.

Ich kam nach Hause und sah meine Kartoffeln wieder: Sie haben kräftiges Kraut entwickelt. Sie waren gewachsen! Ohne mein Dazutun. Ich hatte ja alles getan, was möglich war. Das Wachsenlassen obliegt nicht mir. Mittlerweile kann man fast zusehen, wie sie jeden Tag kräftiger werden. Meine Kartoffeln im Juli!!!

Knapp fünf Tage Zeit habe ich nun, um den Besuch von Beena Sebastian und ihrer Schwester Suseela vorzubereiten. Gott sei Dank habe ich voll motivierte Leute um mich, besonders Valeria und Joachim Geritzen.. Bis zuletzt gab es Visumsschwierigkeiten.

Aber es ist ein tolles Programm zustande gekomen. Danke allen, die sich dafür so eingesetzt haben. Eine knappe Woche bleiben die beiden Frauen hier, dann fahren wir zusammen nach Konstanz zum Hundertjahr-Jubiläum des Internationalen Versöhnungbundes. Beena ist Delegierte von ganz Asien. Ihr Vater, ein Kollege von Gandhi, hat den indischen Zweig des Versöhnungsbundes gegründet.

Nachher werden wir in die Schweiz fahren, wo sich ebenfalls motivierte Leute auf ein Treffen vorbereiten. Viele aus den Reihen der Indienreisenden werden Beena treffen. Die Einladung zum Benefizessen in St. Gallen ist ja schon im Blog drin.

Nachher werde ich mir wirklich einige ruhige Tage in der Schweiz gönnen!!! Denn einen Monat später beginnt ja schon wieder das neue Indienabenteuer.

Wen Gott bei guter Arbeit trifft, dem schickt er immer neue!!
Mit herzlichen Grüssen, Eure Schwester Myriam